Zschopau-Mulde-Fahrt

Geschichte |  Strecke |  Wettkampf |  Städte |  Fahrtberichte |  Galerie |  Liederbuch |  Aktuelles

XXV. Zschopau-Mulde-Fahrt des DKSV der DDR

- erlebt von einem, der dabeisein wollte -

Rudolf Priemer
Aus "Der Kanusport" 5/85:

Nach der Fahrt mit den Kanuten der BSG Stahl Brandis auf Döllnitz und Elbe lag die Erfüllung des alten Wunsches, mal eine "Osterfahrt" mitzumachen, greifbar nahe. Und so standen wir am Karfreitag rechtzeitig da, um per LKW mit der nötigen Ausrüstung nach Waldheim zu fahren. Das Gewirr auf der Mühleninsel wurde bald immer größer, unsere Sportfreunde entwirrten Leisten und Spanten so, daß nach einer halben Stunde ein Faltboot den beiden Säcken entstieg. Ein wenig kannten wir uns, so daß auf Kameradschaft und Verständnis zu bauen war, wenn wir uns nur einfügten.

Nach dem ersten Wettkampfteil an der Waldheimer Brücke fand dann genau 10.00 Uhr die Eröffnung der XXV. Zschopau-Mulde-Fahrt durch den Präsidenten des DKSV der DDR, Prof. Dr. Dr. Weiskopf, statt. Er begrüßte die 430 startenden Sportfreunde und betonte, daß die Kanutouristik die Basis des Leistungssportes darstellt. Waren es 1961 110 Wasserwanderer, die bis Bitterfeld paddelten, so mußten dieses Jahr von den insgesamt 600 Angemeldeten doch viele an einer anderen kanusportlichen Osterveranstaltung Anschluß suchen.

Im Sonnenschein starteten etwa 220 Boote, und jeder versuchte so schnell wie möglich zum ersten Wehr zu kommen, da eine Massenankunft nicht erfreulich ist. Unsere versierten Sportfreunde steuerten ihre Zweier rasch durch das saubere Zschopauwasser, und dann erlebten wir es wieder: jeder hilft jedem uneigennützig, Sportlichkeit wird geschätzt und unausgesprochen anerkannt. Also: ausbooten, umtragen und unterhalb wieder in die Boote und über die bewegte Wasserfläche weiter abwärts, vorbei an blühenden Märzenbechern und Buschwindröschen, den imposanten Eisenbahnviadukten von Steina und Limmritz.

Jede Flußbiegung brachte andere landschaftliche Genüsse. Den Ersten sahen wir am Töpelwehr kentern - nicht sehr angenehm im kalten, wenn auch sauberen Wasser. Nach den fünften Ausbooten erreichten wir die Freiberger Mulde. Das Granulitgebirge war hinter den Hüllschiefern zurückgeblieben, nun säumte bis zum Ende der ersten Etappe Porphyr das Ufer. Der Spitzstein und der riesige Wall des "Staupens" blieben links. Westewitzer Wehr und das "Schweinewehr" waren die letzten vor dem Etappenziel Leisnig.

Bei sommerlicher Wärme genossen wir Stadt und Gastronomie, nachdem jeder sich so gut er konnte gesonnt hat.

Boote und bunte Sportkleidung kontrastierten mit den sonntäglich gestimmten und geputzten Leisnigern. Einen kleinen Stadtrundgang machte wohl jeder, auch die alten Hasen, um festzustellen, was sich positiv in der Stadt geändert hatte. Die romanische Burgkapelle konnten wir nicht mehr bewundern, so blieb uns nur noch Wieprecht von Groitzschs stolzer Turm des 12. Jahrhunderts auf dem "Mildenstein".

Die ersten 23 km Zschopau und Mulde hatten noch nicht sichtbar an den Kräften gezerrt.

Kühl und regnerisch war es am Sonnabend, als unterhalb des Fischendorfer Wehres der zweite Teil des Wettkampfes gestartet wurde. 24 km waren bis zum GST-Stützpunkt Grimma zu bewältigen. Für die Landschaft ringsum blieb keine Zeit - schade. Der hohe Wasserstand brachte uns schnell nach Tanndorf, dem ersten Ort im Kreis Grimma. Den Thümmlitzwald ließen wir rechts liegen, und den Podelwitzer Nixstein nahmen wir im Regenschleier nur zur Kenntnis. Daß die Weiden hier doch grüner waren als in Waldheim, wurde indirekt zur Kenntnis genommen, und daß das Gras schon grüner war, hat nicht nur lokalpatriotische, sondern auch biologische Ursachen.

An den Förstgener Steinklippen nahmen wir den Weg, den sich das Hochwasser 1974 zum ersten Male gesucht hatte. Kanuten erleben auch gegenwärtige geologische Prozesse, und die scheinbar ewigen Zeiträume gewinnen so den Zeitgenossen verständliche Größen. Eisvogel, Graureiher, Enten - alle flohen vor den Kanuten, denen der Vormittag auf dem Fluß gehörte, die Stockenten sahen wir nur am Ufer. Aber in den schönsten Frühlingsfarben, die es nur zu der Zeit gibt, prangten Rotbuchen, Birken in violett; scheinbar noch leblos standen die Eichen, nur vorwitzige Weiden und Erlen grüßten uns.

Dem Ende, nahe der Hängebrücke Grimma, sahen alle sehnlich entgegen. Die Ruhe des Nachmitttags genossen alle, bis auf die, die sich zu einem längeren Stadtrundgang entschlossen. Beim Kanutenball waren dann alle wieder voll da. Neben der Siegerehrung wurden auch die vielen stillen Helfer geehrt, die eine reibungslose Organisation über viele Jahre garantierten.

Mit Brückengedanken paddelten wir am Sonntag unter der Grimmaer Pöppelmann-Brücke hindurch, die wir vor 39 Jahren rostend im Fluß gefunden hätten. Der hoffentlich letzte Krieg in Europa ging ja an der Mulde zu Ende: links die amerikanischen Truppen, rechts Wehrmachtstrümmer und "Volkssturm", das letzte Aufgebot, um den sinnlosen Krieg zu verlängern. Alle drei Grimmaer Brücken wurden noch sinnlos gesprengt, und vier "Volkssturmmänner" ließ ein bornierter Nazioffizier in Höfgen noch erschießen, weil sie verhinderten, daß die Sermuther und Kösserner Brücke auch noch gesprengt wurden. Wieviel Mut brachten die auf, die wieder anfingen, aus dem Chaos eine neue Gesellschaft aufzubauen! Bald sahen wir ein neues Symbol, eine neue Brücke, die Autobahnbrücke bei Nerchau, die erste, die der VEB Stahlbau Dessau in der DDR erbaute, mit Steigung und Krümmung, fast einen halben Kilometer lang und die Teile verklebt, 35 m hoch über der Mulde. Für uns eine selbstverständliche Leistung, die wir aber auch würdigen sollten, denn nichts geschieht im Selbstlauf.

Über das "Neumühlenwehr" fuhren wir ab im Schwall, genau in einer Zunge fleißig paddelnd. Wer das Wehr nicht richtig anfuhr, wurde einer der 22, die an diesem Tage kenterten. Zwischen Kluftberg und Feueresse suchte sich der Fluß durch hartes Gestein einen Weg und grub sich tief ein. Wie war es? Die Phantasie reicht nicht aus, um uns die riesigen Wassermassen vorzustellen, die in Jahrtausenden den Durchbruch schufen, von dem die großen Mäander zeugen.

Das Golzerner Wehr war wohl das schwerste der ganzen Fahrt, weit mußten die Boote getragen und über einen steilen Hang wieder in das schäumende Wasser eingesetzt werden. Mit Hilfsbereitschaft und Ruhe war auch das zu ermöglichen. Vielleicht ist nächstes Jahr die umgestürzte Robinie weggeräumt. Es sah so aus, als ob die Älteren die Jüngeren auch an Hilfsbereitschaft überrragten.

Die mächtige Nerchauer Fährweide hatte der Sturm abgedreht, stellten wir fest, als das große Naturschutzgebiet Döbener Wald hinter uns lag. Nur ab und zu zauberte Sonnenlicht dekorative Eindrücke. Der Fluß hatte die Hügel und Hänge hinter sich gelassen und wurde zum Tieflandfluß in einer weiten Aue, was uns trotzdem wieder zwang: ausbooten - umtragen - einbooten. Leider war es hinter Trebsen vorbei mit Wasser, die Flüssigkeit roch und stank. So blieb es Erinnerung, was wir von der Zschopau gesehen hatten und womit die "Flüssigkeit" der Zwickauer Mulde verdünnt wurde zu "Halb und Halb". Was die Flußmeisterei aber behauptete, konnten wir sehen: es gibt wieder Fische in der Mulde. Sogar der Elbebiber fühlt sich in der Mulde wohler als im und am großen Strom. Vor zehn Jahren war ja die Mulde frei von Pflanzen und Fischen. Zunehmend wurde das Ufer von Weiden und Erlen befestigt, die den realen Sinn haben, bei Hochwasser zu verhindern, daß große Landteile ausgerissen und weggeschwemmt werden.

Am Sonnenmühlenwall gab es die letzte herausragende Porphyrklippe, an der sich der Fluß scharf brach und umgelenkt wurde. Wir hatten zwar bewegtere Landschaftsbilder auf den insgesamt 69 km gesehen, aber reizlos ist auch der Fluß im Tiefland nicht, nur eben anders. Der Wachtelberg wie die Türme des Nahrungsmittelkombinates "Albert Kuntz" Wurzen und die Schornsteine der Dehnitzer Wasserglasfabrik grüßten schon von weitem die wohl immer noch 300 Unentwegten. Es freute mich, daß die Dehnitzer Kahnfähre noch ihren alten Holzkahn hat, wenn sie auch nicht so romantisch liegt wie die Höfgener. Genüßlich paddelten wir am Bach vorüber, die "alte Kirche" hinter uns, gelassen dem Ziele zu, sahen den Roten Milan und die junge Saat, einen Apfelschimmel und viele anteilnehmende Bewohner der nahen Dörfer, die wohl einen solchen Osterspaziergang billigten, sich aber nicht selbst den wacklig erscheinenden Booten anvertraut hätten.

Wir ließen das Bootshaus der "großen reichen Brüder" - Ruderer - hinter uns und landeten alle etwas müde bei den Wurzener Kanuten. Erstaunlich schnell waren die Boote gereinigt und in je zwei große Säcke verstaut und, wie scheinbar zufällig alle in Waldheim zusammengekommen, löste sich das Völkchen wieder auf. Uns war es leicht, wieder nach Hause zu kommen, die Neubrandenburger und Greifswalder aber hatten noch eine lange Fahrt vor sich, die sie aber des Sportes und der Erlebnisse halber gern auf sich nahmen in der Hoffnung, 1986 gibt es die XXVI. Fahrt, mit wieder neuen, anderen Bedingungen und Überraschungen.

Den alten Hasen fällt dann wieder ein, wißt ihr noch, 1970 starteten wir Ostersonntag mit 15 cm Neuschnee in Grimma, von der diesjährigen Fahrt wird der Sommertag zwischen Waldheim und Leisnig in Erinnerung bleiben neben sehr vielen individuellen Erlebnissen und Erfahrungen. Wir schieden ein bißchen wehmütig, daß alles schon zu Ende war, denn wir hatten uns so wohl unter den Brandiser und Borsdorfer Kanuten gefühlt, waren einfach eingeschlossen worden in eine große sportliche Gemeinschaft, die Erlebnisse höher schätzt als Sieg und hatten aus einer neuen Sicht, nicht der des Fußwanderers, unsere Heimat erlebt.

Rudolf Priemer

Zurück zur Übersichtsseite der Fahrtberichte

spierentonne.de - über das Leben am, im und auf dem Wasser   ©Roland Stelzer  Impressum